Pflichtverteidiger im Jugendstrafrecht
Auch im Jugendstrafverfahren spielt die Pflichtverteidigung eine wichtige Rolle. Jugendliche sind meist finanziell nicht in der Lage, einen Wahlverteidiger zu beauftragen. Schon aus diesem Grund wird der Jugendliche selbst keinen Anwalt einschalten. Auch die Eltern sehen häufig nicht die Notwendigkeit eines Strafverteidigers oder sie haben selbst nicht die finanziellen Mittel, einen Wahlverteidiger zu beauftragen.
Da das Gesetz aber auch im Jugendstrafverfahren von der „notwendigen Verteidigung“ ausgeht, muss das Jugendgericht in vielen Fällen einen Pflichtverteidiger beiordnen. Vor allem dann, wenn dem Jugendlichen oder dem Heranwachsenden ein Verbrechen zur Last gelegt wird, ist zwingend ein Pflichtverteidiger beizuordnen (dazu unten mehr).
Jugendlicher oder Heranwachsender – Bedeutung für Beiordnung
Im deutschen Jugendstrafrecht unterscheidet das Gesetz zwischen Jugendlichen und Heranwachsenden. Die Definitionen variieren je nach Altersgruppe:
- Jugendliche: Als Jugendliche gelten Personen, die zwischen 14 und 17 Jahren alt sind. Das Jugendstrafrecht (JGG) gilt für Jugendliche immer. Das JGG sieht spezielle Regelungen und vor allem spezielle Sanktionen vor, die in erster Linie auf Erziehung und weniger auf Strafe abzielen.
- Heranwachsende: Heranwachsende sind Personen im Alter von 18 bis 20 Jahren. Für sie gilt grundsätzlich das allgemeine Strafrecht (StGB), bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (§ 105 JGG) werden aber weiterhin die Besonderheiten des Jugendstrafrechts berücksichtigt. Dies bedeutet, dass bei Heranwachsenden auch die erzieherischen Aspekte im Strafverfahren eine Rolle spielen können. Ab 21 gilt der Beschuldigte als Erwachsener, hier findet immer das „Erwachsenenstrafrecht“ Anwendung, das JGG ist ausgeschlossen. Es kommt immer auf das Alter zum Tatzeitpunkt an.
Keine Bedeutung für die Beiordnung
Für die Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers spielt es keine entscheidende Rolle, ob es sich bei dem Beschuldigten um einen Jugendlichen oder um einen Heranwachsenden handelt. Im Ergebnis gelten die allgemeinen Grundsätze. Wird bei dem Heranwachsendem das Jugendstrafrecht angewandt, dann gilt auch die Sondervorschrift des § 68 JGG.
Voraussetzungen für Beiordnung des Pflichtverteidigers im Jugendverfahren
Zusätzliche Beiordnungsgründe in § 68 JGG
Im Jugendstrafverfahren wird die allgemeine Vorschrift des § 140 StPO (Notwendige Verteidigung) durch die Vorschrift des § 68 Jugendgerichtsgesetz (JGG) ergänzt. Nach § 68 Nr. 1 JGG muss dem jungen Beschuldigten nicht nur in den Fällen des § 140 StPO ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, sondern darüber hinaus auch in drei zusätzlichen Fallgruppen:
- wenn dem Erziehungsberechtigten gem. § 67 Abs. 4 JGG die Verfahrensrechte entzogen wurden, weil er der Tatbeteiligung verdächtig ist,
- wenn zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des jugendlichen Beschuldigten eine Unterbringung in einer Anstalt infrage kommt,
- oder wenn gegen einen noch nicht 18 Jahre alten Beschuldigten Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt wird.
Wichtige Beiordnungsgründe bei Jugendlichen aus § 140 StPO
Unfähigkeit der Selbstverteidigung
Nach § 140 Abs. 2 StPO ist dem Beschuldigten auch dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn er selbst nicht in der Lage ist, sich zu verteidigen. Es ist anerkannt, dass die Unfähigkeit der Selbstverteidigung auch aus dem Alter des Beschuldigten resultieren kann. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Jugendstrafrecht kommt deshalb grundsätzlich häufiger in Betracht als im Strafverfahren gegen erwachsene Beschuldigte. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Fälle, in denen von der Rechtsprechung anerkannt ist, dass einem Jugendlichen ein Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen ist.
Auch im Jugendstrafverfahren können die Kosten eines Pflichtverteidigers erheblich sein. Wer bezahlt den Verteidiger dann?
Mehr zu den Kosten...Vorwurf eines Verbrechens
Ebenso wie dem erwachsenen Beschuldigten muss auch dem Jugendlichen bzw. dem Heranwachsenden ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, wenn ein Verbrechen vorgeworfen wird. Verbrechen sind solche Straftaten, die (nach dem Erwachsenenstrafrecht) mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 12 StGB). Es gibt einige jugendtypische Straftaten, die als Verbrechen zu qualifizieren sind. Insbesondere der Raub (§ 249 StGB) und die Räuberische Erpressung (§ 255 StGB) sind hier zu erwähnen. Was Jugendliche verharmlosend als „Abziehen“ bezeichnen, ist nach dem Strafgesetzbuch tatsächlich ein schweres Verbrechen, das die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zwingend erforderlich macht. Immer dann, wenn einem Jugendlichen oder Heranwachsenden eine solche Tat vorgeworfen wird, liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, sodass ein Verteidiger beizuordnen ist. Diese Fälle sind auch in der Praxis wohl die häufigsten Beiordnungsgründe im Jugendstrafverfahren.
Verbrechensvorwurf häufiger Beiordnungsgrund bei Jugendlichen
Wenn Ihnen eine Anklageschrift oder ein Schreiben des Amtsgerichts zugesandt wurde und Ihrem Sohn (oder auch Tochter) soll ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, dann ist der Grund für die Beiordnung häufig, dass ein Verbrechen (und kein Vergehen) vorgeworfen wird. "Abziehen" ist ein Raub oder eine räuberische Erpressung – ein solches Delikt macht einen Verteidiger notwendig.
Pflichtverteidiger im Jugendstrafrecht finden
Spezialisierte Jugendstrafverteidiger gibt es kaum. Es gibt Strafverteidiger, die ihren oder wenigstens einen ihrer Tätigkeitsschwerpunkte im Jugendstrafrecht haben – aber auch das ist eher die Ausnahme. Ein Fachanwalt für Strafrecht wird in aller Regel auch die nötige Kompetenz haben, um im Jugendstrafverfahren zu verteidigen. Wenn Sie einen Pflichtverteidiger für einen Jugendlichen bzw. für ein Jugendstrafverfahren suchen, empfiehlt es sich, nach einem Fachanwalt für Strafrecht zu suchen.