Wann steht mir ein Pflichtverteidiger zu?

Der Pflichtverteidiger wird in der Strafprozessordnung als “notwendiger Verteidiger” bezeichnet. In welchen Fällen ein Verteidiger notwendig ist – dem Beschuldigten also ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden muss – ist in § 140 StPO geregelt.

§ 140 Abs. 1: Kataloggründe für die Pflichtverteidigerbeiordnung

Diese Vorschrift regelt in ihrem Absatz 1 in einem Katalog von Gründen ganz konkret, wann ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. Die in der Praxis wichtigsten Gründe sind:

  • Der Beschuldigte wird in erster Instanz vor dem Landgericht angeklagt (Nr. 1) – das ist der Fall bei schweren Straftaten;
  • Dem Beschuldigten wird ein Verbrechen zur Last gelegt (Nr. 2). Verbrechen sind alle Straftaten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht sind (vgl. § 12 StGB). Es handelt sich hier also um schwerere Straftaten wie zum Beispiel Raub oder räuberische Erpressung. Alle anderen – weniger schwerwiegenden Straftaten – werden als Vergehen bezeichnet;
  • Der Beschuldigte ist in Untersuchungshaft (Nr. 3)

§ 140 Abs. 2 StPO: Generalklausel für die Pflichtverteidigerbeiordnung

Ist keiner der Gründe nach Absatz 1 einschlägig, kann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch nach § 140 Abs. 2 StPO notwendig sein. Das ist immer dann der Fall, wenn wegen

  • der Schwere der Tat,
  • wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ein Verteidiger notwendig ist oder weil
  • ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Die Schwere der Tat richtet sich vor allem nach der Rechtsfolge, die der Beschuldigte im Falle einer Verurteilung zu erwarten hat. In aller Regel wird ein Pflichtverteidiger beizuordnen sein, wenn eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr zu erwarten ist. Auch wenn dem Beschuldigten der Widerruf einer Bewährung droht, kann das die Schwere der Schuld und damit die Beiordnung eines Verteidigers begründen.

Wann die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage vorliegt, lässt sich kaum verallgemeinern – hier kommt es auf den Einzelfall an. Sie kann zum Beispiel vorliegen, wenn die Beweislage schwierig ist, weil viele Zeugen sehr unterschiedliche Angaben machen oder weil Sachverständige gehört werden müssen.

Der Beschuldigte kann sich beispielsweise nicht selbst verteidigen, wenn sein Gesundheitszustand dies nicht zulässt, etwa weil er wegen einer Erkrankung unter Konzentrationsschwierigkeiten leidet oder weil er als Ausländer Verständnisschwierigkeiten hat, die auch unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers nicht auszuräumen ist.

Wichtig: Der Einzelfall entscheidet, ob ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist

Nicht in jedem Fall lässt sich ganz eindeutig entscheiden, ob ein Fall der Beiordnung vorliegt oder nicht. Wenn Sie nicht sicher sind, ob Ihnen in Ihrem Fall möglicherweise ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, sollten Sie mit einem Rechtsanwalt für Strafrecht sprechen. Er wird Ihnen erläutern können, ob ein Antrag auf Beiordnung in Ihrem Strafverfahren Sinn macht oder nicht.