Wahlverteidiger? Pflichtverteidiger?
Wenn jemand beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben, hat er das Recht, sich jederzeit durch einen Anwalt verteidigen zu lassen (§ 137 StPO). Im Strafverfahren gibt es grundsätzlich zwei Arten von Anwälten: den Wahlverteidiger und den Pflichtverteidiger. Ein Wahlverteidiger ist ein Anwalt, den der Beschuldigte selbst aussucht (und bezahlt). Ein Pflichtverteidiger ist ein Anwalt, den das Gericht dem Beschuldigten beiordnet, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Das bedeutet, es müssen bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein, damit das Gericht die Beiordnung beschließt. Die Wahl des richtigen Verteidigers kann entscheidend für den Ausgang des Verfahrens sein. Viele sind jedoch unsicher, was genau der Unterschied zwischen einem Wahl- und einem Pflichtverteidiger ist und unter welchen Umständen welcher in Anspruch genommen werden sollte. In diesem Beitrag klären wir die Begriffe und was den Wahlverteidiger vom Pflichtverteidiger unterscheidet.
Wahlverteidiger – Frei gewählte rechtliche Vertretung
Was ist ein Wahlverteidiger?
Ein Wahlverteidiger ist ein Anwalt, den Sie selbst aussuchen, um Sie im Strafverfahren zu vertreten. Sie entscheiden, welchen Anwalt Sie nehmen, der Anwalt vertritt dann einseitig Ihre Interessen und versucht, das beste Ergebnis für Sie zu erzielen. Der Wahlverteidiger ist damit ein »normaler« Rechtsanwalt, mit dem Sie einen Vertrag abschließen und der für Sie seine Dienstleistung erbringt.
Einen Wahlverteidiger können Sie für eine Bagatelle, wie zum Beispiel eine Beleidigung, beauftragen. Sie können ihn aber auch ebenso gut in einem Mordverfahren beauftragen. Die Art des Vorwurfs spielt also keine Rolle für die Frage, ob Sie einen Wahlverteidiger beauftragen können oder nicht.
Die Kosten eines Wahlververteidigers
Die Kosten für diesen Wahlverteidiger müssen Sie grundsätzlich selbst bezahlen. Das Honorar, das der Anwalt verlangt, unterliegt der freien Vereinbarung. Es kann sein, dass der Anwalt nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abrechnet. Es kann aber auch sein, dass er mit Ihnen ein Pauschalhonorar vereinbart oder ein Stundenhonorar. Wie hoch diese Kosten ausfallen, lässt sich nicht verallgemeinern. Grundsätzlich können Sie davon ausgehen, dass ein Strafverteidiger, der sehr viel mehr Erfahrung hat als andere Anwälte oder der einen besonders guten Ruf hat, auch mehr Geld von Ihnen verlangen wird. Auch Anwälte mit einer besonderen Expertise werden in aller Regel ein höheres Honorar verlangen.
Da Sie den Vertrag mit dem Wahlverteidiger abschließen, sind Sie auch derjenige, der den Wahlverteidiger bezahlt. Nur im Falle des Freispruchs werden Ihre Auslagen, also die Rechtsanwaltsgebühren, der Landeskasse auferlegt. Diese ersetzt dann Anwaltskosten, aber auch nur in Höhe des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes. Das bedeutet, wenn Sie mit Ihrem Wahlverteidiger eine Vergütungsvereinbarung abgeschlossen haben, die über dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz liegt, müssen Sie für die Differenz selbst aufkommen. Auch eine Rechtsschutzversicherung ersetzt in aller Regel nur die Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
Der Pflichtverteidiger: Wenn das Gericht den Anwalt bestellt
Pflichtverteidiger kurz erklärt
Ein Pflichtverteidiger ist demgegenüber ein Anwalt, der vom Gericht beigeordnet wird. Die Fairness des Verfahrens gebietet es, dem Beschuldigten, der bislang keinen Anwalt – also keinen Wahlverteidiger – hat, in bestimmten Fällen einen Verteidiger zur Seite zu stellen. Das Gesetz nennt das »notwendige Verteidigung« (§ 140 StPO). Wenn Ihnen also zum Beispiel ein Totschlag vorgeworfen wird und Sie haben bislang in dem Verfahren keinen Wahlverteidiger beauftragt, dann wird das Gericht Ihnen einen Pflichtverteidiger beiordnen, weil der Verteidiger in so einem Verfahren notwendig ist. Die Fälle der notwendigen Verteidigung sind gesetzlich geregelt (§ 140 StPO) und orientieren sich grundsätzlich an der
- Schwere des Vorwurfs,
- an der Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten und
- an den möglichen Folgen, die dem Beschuldigten aus dem Strafverfahren resultieren.
Daraus folgt, dass Sie zwar in einem Mordverfahren einen Pflichtverteidiger haben können, aber in aller Regel nicht in einem Verfahren wegen Beleidigung. Bei einfachen oder geringfügigen Vorwürfen liegen die Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbeiordnung nicht vor, und Ihnen wird auch kein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt. In diesen Fällen müssen Sie entweder selbst einen Wahlverteidiger beauftragen oder Sie müssen sich selbst verteidigen.
Die Kosten des Pflichtverteidigers
Im Unterschied zum Wahlverteidiger müssen Sie den Pflichtverteidiger grundsätzlich nicht selbst bezahlen. Der Pflichtverteidiger rechnet seine Anwaltsgebühren mit der Landeskasse ab. Diese Gebühren liegen unter den Gebühren, die ein Wahlverteidiger nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der Regel abrechnen kann. Der Pflichtverteidiger erhält also für die (hoffentlich) gleiche Leistung weniger Geld.
Trotzdem ist der Pflichtverteidiger kein Anwalt auf Staatskosten, denn wenn Sie in dem Strafverfahren verurteilt werden, dann werden Ihnen die Kosten des Verfahrens auferlegt. Dazu zählen auch die Pflichtverteidigerkosten. Am Ende müssen Sie also auch die Pflichtverteidigergebühren bezahlen, es sei denn, Sie werden freigesprochen oder das Verfahren wird eingestellt.
Für den Beschuldigten, der keinen Wahlverteidiger bezahlen kann, liegen die Vorteile der Pflichtverteidigung auf der Hand. Er erhält erst einmal rechtlichen Beistand in dem Verfahren, ohne dass er sich um die Bezahlung des Pflichtverteidigers sorgen muss.
Unterschied Wahlverteidiger – Pflichtverteidiger
Wir haben gesehen, dass es Unterschiede zwischen Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger bei der Beauftragung gibt und auch bei der Frage, wer erst einmal die Gebühren zahlt. Darüber hinaus macht das Gesetz aber zwischen dem Wahlverteidiger und dem Pflichtverteidiger grundsätzlich keine Unterschiede. Der Pflichtverteidiger hat im Strafverfahren die gleichen Rechte und Pflichten wie der Wahlverteidiger. Er kann also ebenso wie der Wahlverteidiger Anträge stellen, Rechtsmittel einlegen und im gleichen Umfang und Ausmaß seinem Mandanten zur Seite stehen. Anders als der Wahlverteidiger kann er allerdings nicht das Mandat niederlegen. Für ihn gibt es nur die Möglichkeit, dass ihn das Gericht entpflichtet, was aber nur unter sehr engen Voraussetzungen geschieht. Spiegelbildlich dazu kann auch der Beschuldigte seinen Pflichtverteidiger nicht so einfach loswerden wie einen Wahlverteidiger. Bei dem Wahlverteidiger genügt es, dass der Mandant das Mandatsverhältnis kündigt. Bei einem Pflichtverteidiger müssen hingegen besondere Gründe vorliegen, damit das Gericht ihm den Wechsel des Pflichtverteidigers ermöglicht.
Beruf: Pflichtverteidiger?
Anders als man es vielleicht aus den USA kennt, gibt es in Deutschland nicht den Beruf des Pflichtverteidigers. Der Anwalt, der eine Pflichtverteidigung übernimmt und sich beiordnen lässt, ist ein ganz »normaler« Rechtsanwalt, der neben den Pflichtverteidigungen auch Mandate als Wahlverteidiger führt. Viele Strafverteidiger übernehmen durchaus auch Pflichtverteidigungen, auch erfahrene Fachanwälte für Strafrecht mit vielen Jahren Berufserfahrung sind in der Praxis als Pflichtverteidiger tätig. Allerdings gibt es auch Rechtsanwälte und Strafverteidiger, die aus wirtschaftlichen Gründen grundsätzlich keine Pflichtverteidigungen übernehmen und deshalb nur als Wahlverteidiger tätig sind.
Erst Wahlverteidiger, dann Pflichtverteidiger
Nicht ungewöhnlich ist, dass ein Anwalt, der erst als Wahlverteidiger beauftragt wird, sich später im Verfahren als Pflichtverteidiger beiordnen lässt. Manchmal ist zu Beginn des Verfahrens noch nicht klar, ob ein Fall der Beiordnung vorliegt. Manchmal macht es auch die Dauer des Verfahrens erforderlich, dass sich der Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger beiordnen lässt, um die weiteren Gebührenansprüche und die weitere Verteidigung zu sichern. Der Wechsel von der Wahlverteidigung hin zur Pflichtverteidigung ist unproblematisch, wenn die Voraussetzungen der Beiordnung vorliegen.
Erst Pflichtverteidiger, dann Wahlverteidiger
Auch den ungekehrten Fall gibt es, in dem ein Anwalt erst als Pflichtverteidiger beigeordnet ist und dann später das Verfahren als Wahlverteidiger weiterführt. Manchmal fallen im Verlauf des Verfahrens die Voraussetzungen der Beiordnung weg, sodass das Gericht den Pflichtverteidiger dann entpflichtet (§ 143 Abs. 2 StPO). I . Wenn beispielsweise der Beschuldigte zu Beginn des Verfahrens in Untersuchungshaft genommen wird und deshalb ein Verteidiger beigeordnet werden muss, kann sich die Situation ändern, wenn er aus der Haft entlassen wird und keine weiteren Gründe für die Beiordnung bestehen. In solchen Fällen kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 143 Abs. 2 StPO den Verteidiger wieder entpflichten. Wenn sich Mandant und bisheriger Verteidiger dann über die Fortführung des Mandats und die weitere Bezahlung einigen können, spricht nichts dagegen, dass der ursprüngliche Pflichtverteidiger das Verfahren als Wahlverteidiger fortführt.
Fazit zu den Unterschieden zwischen Wahl- und Pflichtverteidiger
Zwischen Wahl- und Pflichtverteidigern bestehen signifikante Unterschiede, speziell in Bezug auf die Art der Beauftragung und die Gebühren. Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass Wahlverteidiger in jedem Strafverfahren aktiv werden können, während Pflichtverteidiger nur unter bestimmten gesetzlichen Bedingungen beigeordnet werden. Dies führt dazu, dass Beschuldigte, die sich keinen Wahlverteidiger leisten können, häufig ohne juristischen Beistand bleiben, wenn die Kriterien für einen Pflichtverteidiger nicht erfüllt sind.
Aber es gibt auch Bereiche, in denen sich Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger nach dem Gesetz nicht unterscheiden und in der Praxis auch nicht unterscheiden sollten. Der Pflichtverteidiger hat die gleichen Rechte wie der Wahlverteidiger und sollte seine Mandanten in gleichem Umfang und mit dem gleichen Engagement zur Seite stehen wie ein Wahlverteidiger. Deshalb ist es wichtig, dass Sie sich Ihren Pflichtverteidiger ebenso aussuchen, wie Sie sich einen Wahlverteidiger aussuchen würden. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass Ihnen das Gericht schon den »richtigen« Anwalt beiordnen wird. Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch, Sprechen Sie mit Ihrem Anwalt, bevor Sie ihn mit der Pflichtverteidigung betrauen!